16.12.2004

Begrüßung/Ansprache Bürgermeister Christian KRINGS

Sehr geehrte Gäste in all ihren Funktionen und Ämtern, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Zum Abschluss der heutigen Gedenkfeiern anlässlich des Beginns der Ardennenschlacht vor 60 Jahren am 16. Dezember 1944 darf ich Sie alle im Namen der Stadtgemeinde St. Vith sehr herzlich in unserem Rathaus willkommen heißen.

Wir haben am heutigen Tage an verschiedenen ehemaligen Kriegsschauplätzen in Deutschland, Luxemburg und Belgien in besonderer Weise dem 60. Jahrestag der Ardennenschlacht gedacht, denn im Verlaufe dieser Kämpfe wurde im Dezember 1944 und im Januar 1945 unsere Heimat verwüstet und manche Orte, so auch Sankt Vith, dem Erdboden gleich gemacht.

Als das Inferno der Von Rundstedt Offensive am 16. Dezember um 5.30 Uhr losbrach, war dies für die Bevölkerung des Eifel - Ardennenraumes der traurige Höhepunkt der vierjährigen Herrschaft des Nazi- Regimes.

Mit dem Beginn der Ardennenschlacht am 16. Dezember 1944 erreichte das Grauen eine neue, noch schrecklichere Dimension, denn die Zivilbevölkerung wohnte inmitten des Schlachtfeldes. Artilleriebeschuss und Bomben töteten und verletzten wahllos Mütter, Kinder, alte Menschen und zerstörten ihr Hab und Gut. Die Fronten wechselten häufig hin und her, viele Ortschaften wurden hart umkämpft , sodass die Bewohner der Willkür der Kriegsereignisse schutzlos ausgeliefert waren

So bedeutete auch die Entscheidung der Amerikaner, St. Vith mit allen Mitteln zu verteidigen, zwar das Scheitern der deutschen Offensive, aber auch das Todesurteil für unsere kleine Stadt, die am 25. und 26. Dez massiv bombardiert und ausgelöscht wurde. Man schätzt die Zahl der Opfer auf 1500,aber sie wird niemals genau ermittelt werden können. Allein in der zerstörten Klosterkirche fanden über 300 Menschen den Tod

Der heutige Tag bietet uns die Gelegenheit aller Opfer dieser sinnlosen Schlacht, aber auch der Opfer aller Kriege zu gedenken, die immer wieder zwischen
Völkern oder Volksgruppen geführt werden.

Die Gründe sind vielfältig: Angst vor potentiellen Feinden, Machthunger, Kampf um Ressourcen und Bodenschätze, ungerechte Verteilung der Güter, Unterdrückung und Ausbeutung, Rassismus.

Dabei sollte uns bewusst sein, dass jeder getötete Mensch eine kleine eigene Welt für sich war, einmalig in seinem Wesen, mit Träumen, Zielen und Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben, so wie wir es kennen.

Die Wirren des Zweiten Weltkrieges und insbesondere die Ardennenschlacht bedeuteten für unsere Eifeler Bevölkerung Tod, Entsetzen, Hunger und Zerstörung, aber letztendlich die Befreiung von einer unmenschlichen Diktatur.

Als Deutschsprachige waren viele unserer Vorfahren mit dem Herzen der deutschen Nation verbunden, manche ließen sich vom Glanz und der Arroganz der NSDAP verblenden, wenige trauten sich in den Widerstand zu gehen.

Der glückliche Verlauf der Geschichte im föderalen Belgien hat die Nachkommen dieser vom Krieg verletzten und gequälten Generation miteinander versöhnt und es uns ermöglicht in Freiheit und Wohlstand unser Schicksal selber zu bestimmen.

Deshalb nutze ich die heutige Gelegenheit sehr gerne, um all denen die unsere Heimat wieder aufgebaut haben, aber unseren Befreiern zu danken. Sie haben sich einem grausamen Regime entgegengestellt, das nicht davor zurückschreckte das eigene Volk in den Tod zu schicken, um die eigene Macht um wenige Monate zu verlängern. Zehntausende Soldaten der alliierten Streitkräfte, Väter, Söhne, Brüder mussten ihre Familie in Übersee zurücklassen und haben ihr Leben damals geopfert, um Europa zu befreien.

Es ist auch ihr Verdienst, dass unsere Generation und unsere Kinder im alten Kontinent Europa seit nun fast 60 Jahren in Freiheit und Frieden leben können, wir sind wir ihnen heute noch dankbar.

Einen besonderen Dank möchte ich am heutigen Tage des Gedenkens aber auch der Bevölkerung unserer Landeshauptstadt Brüssel aussprechen. Brüssel übernahm nach dem Krieg die Patenschaft für den Wiederaufbau von St. Vith und unterstützte unsere Bevölkerung mit zahllosen Geld- und Sachspenden.

Wir sollten uns aber bewusst sein, dass wir aktiv für den Frieden eintreten müssen, wenn wir ihn erhalten wollen. So möchten wir mit der Aktion Denk – Mal zwar zunächst an die dramatischen Ereignisse der Jahreswende 1944-45 erinnern, darüber hinaus versuchen wir aber vor allem unsere Jugend über die Schulen zu einem engagierten Dialog über Krieg und Frieden anzuregen

An dieser Stelle danke ich im Namen der Stadtgemeinde St. Vith den Organisatoren der heutigen Gedenkveranstaltungen und ihnen meine Damen und Herren für ihr kommen. Mein besonderer Dank gilt der Arbeitsgruppe um Lorenz Paasch und Klaus Dieter Klauser, die gemeinsam mit engagierten Lehrerinnen und Lehrern dieses Thema aufgegriffen und ein hervorragendes Dossier mit den historischen Fakten für unsere Schulen zusammengestellt haben.

Am heutigen Gedenktag, der unter dem Motto „Versöhnung über die Grenzen = Zukunft für die Jugend“ steht, konnten wir die glückliche Erfahrung machen, dass Verantwortungsträger aus vielen Gemeinden des ehemaligen Kampfgebietes diesen Tag gemeinsam gestaltet und erlebt haben. Mittlerweile gibt es viele Partnerschaften zwischen deutschen, luxemburgischen und belgischen Gemeinden, diesseits und jenseits der über tausend Jahre alten Sprachengrenze wird aktiv zum Wohle der Eifel- Ardennenregion zusammengearbeitet.

Dies ist ein positiver Beweis, dass durch Kooperation, Respekt der kulturellen Eigenständigkeit der verschiedenen Völker und Regionen und durch die Beteiligung aller Menschen an Arbeit und Wohlstand eine friedliche Zukunft gesichert werden kann.

Nutzen wir also die Gelegenheit dieser Gedenkfeiern, um die wahren Werte der menschlichen Existenz wieder in den Vordergrund zu rücken. Beginnen muss jeder Friede in den Herzen der Menschen, denn wachsen kann er nur dort, wo auch der erforderliche Nährboden vorhanden ist. Prüfen wir uns also selber, ob wir bereit sind uns für diese Werte einzusetzen und nicht unbedingt unser Recht sondern die Verständigung zu suchen, denn dies sind wir unserer Jugend und künftigen Generationen schuldig.

Einleitung Lorenz PAASCH zu „Zeitzeugen berichten“:

„Wir gedenken heute der Opfer der Ardennenoffensive und der Bombardierung der Stadt Sankt Vith Weihnachten 1944. Gedenken heißt Erinnern. Viele unter uns können sich nicht aus eigener Erfahrung erinnern; sie hatten das Glück, nach dem Krieg im Frieden geboren zu werden. Daher lassen wir in dieser Gedenkstunde Zeitzeugen zu Wort kommen, deren Erinnerungen schriftlich überliefert sind. Rudi PLATTES wird uns Auszüge aus diesen Erinnerungen vortragen, die eines dokumentieren: der Krieg hat Leben zerstört – auch das der Überlebenden!“




R. PLATTES zitiert

Barbara KETTMUS-MANDERFELD (*1913), Schönberg

„Vieles aus dem Krieg kommt zurück - immer wieder, obwohl ich es nicht will. Es zehrt an mir, aber mein Leben muss weitergehen. Meinen Mann habe ich 1938 geheiratet. Noch im Herbst wurde er zum ersten Mal eingezogen, im August 1939 zum zweiten Mal. Uns war wenig Zeit füreinander gegeben. Im Februar 1940 starb unser erstes Kind. Nach dem Einmarsch der deustchen Truppen im Mai 1940 kam mein Mann in Gefangenschaft. Meine Schwester wurde durch eine Granate schwer verletzt. Drei Monate später starb sie. Sie hinterließ einen Mann mit drei Kindern. Im Juli 1942 wurde mein Mann plötzlich eingezogen. Urlaub bekam er keinen. Er wurde sofort an die Front in Stalingrad geschickt. Am 3. Januar 1943 erhielt ich seinen letzten Brief. Von nun an galt er als vermisst. In den Wirren der Ardennenoffensive wurde eine weitere Schwester von mir tödlich verletzt, ebenso ihre drei kleinen Kinder.

Mein Gedächtnis zwingt mir diese Erinnerungen häufig auf. innerlich spüre ich, ich muss verzeihen, kann aber nicht vergessen. Die Stärke, um das auszuhalten, habe ich wohl nur im Gottvertrauen und im Glauben gefunden. Heute erschrickt mich, dass Menschen noch immer nicht mit dem Krieg aufhören können.“

L. PAASCH: Ansage Ute Meessen: „Immer leiser...“

„Immer leiser wird mein Schlummer,

Nur wie Schleier liegt mein Kummer

Zitternd über mir.

Oft im Traume hör ich dich

Rufen draußen vor meiner Tür,

Niemand wacht und öffnet dir,

Ich erwach und weine bitterlich“

Johannes BRAHMS komponierte 1886 bei seinem Aufenthalt in Thun dieses Lied, das Ute MEESSEN, Altistin, nun singt, am Klavier begleitet von Rainer HILGER.

R. PLATTES zitiert

Peter BREUER, Hasenvenn

Mein Vater war während des Krieges als Verantwortlicher für die Bahnstrecke zwischen Weywertz und Losheimergraben eingesetzt. Er musste die Bahnschächte überwachen und melden, wenn Luftangriffe auf Züge erfolgt waren. Da hat er manche grausame Szene mitansehen müssen. ... Bis zum 16.12. blieb alles ruhig. In den Morgenstunden des 16.12. brach plötzlich heftiges Granatfeuer über unser Haus in Hasenvenn herein. Im Haus befanden sich meine Eltern und wir 5 Kinder, das jüngste war erst 4 Monate alt.. Im Laufe des Vormittags beruhigte sich das Feuer. Vater erklärte uns, wie wir uns im Haus schützen sollten, falls der Beschuss wieder einsetzen sollte: wir sollten in der Ecke der Wohnstube bleiben, wo wir von den beiden Mauern geschützt waren; meine beiden Brüder tollten jedoch beim Ofen herum und versteckten sich trotz eindringlicher Ermahnungen des Vaters hinter dem Ofen. Plötzlich gab's einen lauten Knall und alles war voller Staub und Ruß: eine Granate hatte das Fenster getroffen und war nach innen explodiert. Wir, die in der Ecke standen waren geschützt und auch die beiden Brüder hinter dem Ofen kamen mit dem Schrecken davon. Die Mutter hatte das Kleinkind Gottseidank auf dem Arm, das noch zuvor im Kinderwagen unter dem Fester gestanden hatte. Der Kinderwagen war nämlich von einem schweren Stein getroffen worden, der aus dem Fenster gefallen war.

Nach diesem Anfgriff gab's kein Halten mehr. Vater befahl, das Haus zu räumen und zu Onkel Anton in den Keller (Haus schräg gegenüber) zu flüchten. Die Mutter und das Kleinkind auf dem Arm flohen unter heftigem amerikanischem Beschuss über die Straße ins Haus von Onkel Anton; auch meine beiden Brüder Paul-Erich und Adolf nahmen den Weg. Mein Vater hatte den 4jährigen Bruder gepackt und ich lief ihm nach. Durch den ständigen Beschuss befahl er mir, in den Graben zu springen. Er tat das gleiche mit meinem Bruder. Im Graben lag geharschter Schnee und wir konnten uns nicht tief darin verstecken. Nach einiger Weile befahl Vater weiter zu kriechen. Sobald wir uns bewegten, wurde der Straßenrand beschossen. Wir haben uns so langsam bis zur Höhe des Hauses meines Onkels vorgearbeitet und jedesmal wurden wir beschossen, sobald wir uns bewegten. Unterwegs sahen wir meinen 5jährigen Bruder Adolf auf der Straße liegen. Vater sagte, er sei tot. Wir lagen sehr lange im Graben und wagten uns kaum zu bewegen. Nach langer Zeit erreichten wir endlich die Stelle, an der wir die Straße zum Haus von Onkel Toni überqueren konnten. Auf das Kommando meines Vaters taten wir das denn auch. Sofort wurden wir wieder beschossen, doch uns gelang es, das Haus unverletzt zu erreichen. Mutter war voller Sorge und fragte, wo wir solange geblieben seien und wo Adolf sei. Vater überbrachte die traurige Nachricht. Doch zur Trauer war nicht viel Zeit, denn das Dach des Hauses von Onkel Toni wurde in Brand geschossen und wir mussten alle wieder fliehen, wenn wir nicht verbrennen wollten. Meine Tante hatte 2 Koffer gepackt, die ich schnappte und den andern in Richtung des Hauses Haep folgte - immer unter Beschuss der Amerikaner. Wegen dieser Last war ich der letzte der fliehenden Gruppe. Als ich fast den Straßenrand erreichte, traf mich etwas an der Hüfte, was mir heftige Schmerzen verursachte. Ich schrie auf und mein Vater, der bereits an der anderen Seite war, rief mir zu, ich solle die Koffer fallen lassen und schnell rüber kommen, wenn's ging. Ich schaffte es, ohne die Koffer die andere Seite zuerreichen, wo ich dann mit den anderen in Sicherheit war. Wie sich herausstellte, hatte ein Stein mich getroffen, der von dem Granatbeschuss wegspritzte und ich blieb unverletzt. Im Hause Haep blieben wir dann bis der Beschuss vorüber war. Im Keller des Hauses lagen auch deutsche Soldaten, die ziemlich verletzt waren und stöhnten. Abends hat mein Vater dann meinen toten Bruder von der Straße geholt und ihn in unser Haus gebracht. Er hat einen Sarg gezimmert und wir haben ihn dann in Manderfeld begraben.

Heinrich PETERS, St.Vith

Am 25. Dezember wurde der obere Teil der Stadt bombardiert. Es war so gegen 2-3 Uhr nachmittags. Die Heckingstraße, Hauptstraße und die Seite zum Krankenhaus hin, sowie auch die Luxemburger Straße wurden mit Bomben belegt. Dann bin ich abends vom Haus meiner Schwester "auf der Gemeinde" nach St.Vith heraufgegangen. Ich gelangte jedoch nicht mehr bis zu unserem Haus in der Hauptstraße, weil dort alles brannte. Außer Soldaten habe ich keinen St.Vither gesehen. Keinen Menschen !

Als es langsam dunkel wurde, habe ich mich zur Neundorfer Straße zurückbegeben. St.Vith brannte lichterloh. Man war schon von der Front her vieles gewohnt und wir dachten, mit diesem Bombenangriff wird es wohl fürs erste getan sein. Welch ein Irrtum !

Der anbrechende Tag, es war der 26. Dezember, begann mit einer intensiven Lufttätigkeit. Die Flak hatte rund um St.Vith Stellung bezogen und gegen 2 Uhr nachmittags kamen die ersten "Chrsitbäume" (so nannte man die Markierungszeichen für die angreifenden Bomber). Das war das Zeichen zum Angriff. Unentwegt schlugen die Bomben ein; Spreng-, Brand- und Phosphorbomben prasselten vom Himmel herab. Während der Bombardierung war an ein Herauskommen aus dem Keller nicht zu denken. Ich hatte eine zusammengerollte Zeltbahn und hielt diese gegen das kleine Kellerfenster. Als schließlich die Bombardierung etwas nachließ, suchte man einen Ausgang. Über uns brannte das ganze Haus. Mein Schwager war mit seinem Bruder Hubert in dem daneben liegenden Kellerraum. Mein Schwager war in den herabgestürtzten Mauerresten eingeklemmt. Ihn mussten wir zuerst befreien. Er war verwundet; sein Bruder rührte sich nicht. Er lag unter der eingestürtzten Kellerdecke. Über uns brannte es. Die Kinder Kohnenmergen, die durch umgestürtztes kochendes Wasser an den Beinen und Füßen verbrannt waren, schrieen vor Schmerzen. ... Das Vieh in der Stallung brüllte furchtbar. Es war grauenhaft. Der Bruder meines Schwagers ist später beim Aufräumen tot geborgen worden. Vor uns lag die sterbende Stadt St.Vith. Der Himmel war schwarz von Rauch und über das ganze Stadtgebiet zog sich ein loderndes Flammenmeer. Über uns kreisten die Bomberflugzeuge.

Auszug aus "Mein Tagebuch - Vom Jahre 1944 bis zum Jahre 1951", von Peter Hockertz, St.Vith (geb. 1936)

Es war am 9. August 1944. Mein Vater war Eisenbahnsoldat, meine Mutter, mein Bruder und ich saßen auf der kleinen Mauer vor unserem Hause. Da hörten wir plötzlich das Zurren eines Flugzeuges. Meine Mutter sagte: "Der hat nichts Gutes vor." Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, da kamen schon 5-6 Bortwaffen gesaust, genau über die Tür unseres Nachbarn. Wir stürzten zum Hause hinein und in den Keller. Da kamen Leute gelaufen und klopften an die Tür. Wir machten ihnen auf und kaum waren wir alle im Keller, da hörten wir schon die Bomben und Bordwaffen krachen. Unserem Haus pasierte nichts. Eine Woche später kam mein Vater zurück, er hatte einen Armbruch und war deswegen entlassen; das war eine große Freude. Doch die Freude sollte nicht lange halten. Denn im September kam St.Vith unter schweres Artillerie-Feuer. Dann am 13. September kam St.Vith unter schweres Artillerie-Feuer. Am folgenden Tag kam der Amerikaner herein und blieb ungefähr zwei Monate bei uns. Während dieser Zeit hatten wir es gut, wir hatten reichlich zu essen. Am 23. Dezember wurde St.Vith von den Amerikanern geräumt und deutsche Truppen zogen ein. Wir hielten uns fast immer im Keller auf. Am 1. Weihnachtstag kamen meine Mutter, mein Vater, meine Tante, mein Bruder und ich zum Kloster um uns dort Schutz zu suchen. Der 1. Weihnachtstag war der schrecklichste meines Lebens. Um 4 Uhr nachmittags ging der Angriff los: Das Kloster wurde bombardiert. Wir befanden uns gerade im Kartoffelkeller, mit und noch 72 Personen. Wir wurden alle verschüttet. Meine Mutter, meine Tante und mein Bruder blieben tot; ich wurde unter eine Eisentür geschleudert und der Herr Holper zog uns heraus. Mein Vater war schwer verwundet. Ich hatte nichts an mir; draußen bekam ich Phosphor auf das rechte Bein. Von den 72 Personen blieben noch 3 am Leben: das waren der Junge von Scheffen, mein Vater und ich. Als wir 3 Stunden im Schnee gelegen hatten, wurden wir endlich bei Doutrelepont in den Keller gelegt.

Maria MÜLLER-PETERS (*1918), St.Vith

Ich habe am 9. August 1944 während der ersten Bombardierung St.Viths in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zum ersten Mal realisiert, was Krieg wirklich bedeutet. Wenige Tage später verließ ich meine Heimatstadt. Ich sollte meine schwangere Schwester nach Polen begleiten. Sie war zu ihrem schwerverletzten Mann bestellt worden. Von nun an war ich auf der Flucht: Ein kleiner Koffer war mein einziges Reisegepäck. Jagdbomber beschossen immer wieder unseren Zug. Seit dem 4. September wussten wir: der Weg nach Polen war uns ebenso versperrt, wie der Weg zurück nach St.Vith. Uns blieb nur die ständige Angst als Begleiter. Täglich redeten wir von unserer Heimatstadt. Als wir am 2. Weihnachtstag in Jena von ihrer Zerstörung hörten, haben wir stundenlang bitterlich geweint. Wir lebten im Bewusstein, nichts mehr zu haben, nur noch das nackte Leben und unsere jugendliche Hoffnung auf die Zukunft. Im Juni flohen wir zum letzten Mal - jetzt vor der Roten Armee. In St.Vith wieder angekommen sahen wir, was wir geahnt hatten: uns war nichts geblieben.





L. PAASCH: Ansage Ute Meessen: „Der Tod und das Mädchen“

„Vorüber! Ach vorüber!

Geh wilder Knochenmann!

Ich bin noch jung, geh Lieber!

Und rühre mich nicht an“

Franz SCHUBERT vertonte 1824 das von Matthias CLAUDIUS (1740 – 1815) in einer für Europa von Kriegen geprägten Zeit verfasste Gedicht „Der Tod und das Mädchen“, das

Ute MEESSEN, Altistin, nun singt, am Klavier begleitet von Rainer HILGER.

R. PLATTES zitiert

Mathilde GENTEN-COLGEN (*1908), Weweler

Wenn heute meine Enkel Kriegsfilme gucken, so kann ich das nicht nachvollziehen. Ich kann es einfach nicht und merke, dass ihnen das Verständnis dafür fehlt. Krieg habe ich einerseits als blinde Zerstörungswut erlebt: Alles wurde in unseren Häusern zerstört, unsere materiellen Erinnerungen ausgelöscht, das Leben war stets gefährdet. Aber Krieg war auch zwischen den Menschen: In der Kriegszeit musste jeder höllisch aufpassen, was er sagte und tat. Nicht jeder Nachbar war ein guter Nachbar. Ich glaube, dieses Denunzieren wurde nach dem Krieg hier noch schlimmer. Von nun an herrschte ein Zeitgeist, der nur auf Hass und Neid aufbaute. Die kleinste Auseinandersetzung wurde politisch ausgelegt. Sogar in der nächsten Verwandtschaft gab es Streit, der wie eine unheilbare Krankheit anhaftete und nur schwer zu heilen war - wenn überhaupt.

Die Menschen hatten den Unterschied nicht verstanden, dass ein Deutschgesinnter bei weitem noch kein Nazi war, und ein Kläger nicht unbedingt ein guter Belgier. Deshalb geschah auch wieder nach dem Krieg großes Unrecht, wodurch das Vertrauen in die Mitmenschen meist endgültig verloren ging.

L.PAASCH : Ansage Ute Meessen: „Les berceaux“

Le long du Quai, les grands vaisseaux,
Que la houle incline en silence,
Ne prennent pas garde aux berceaux,
Que la main des femmes balance.
Mais viendra le jour des adieux,
Car il faut que les femmes pleurent,
Et que les hommes curieux
Tentent les horizons qui leurrent!

Gabriel FAURÉ (1845 – 1924) vertonte 1879 dieses Gedicht von Sully PRUD´HOMME, das

Ute MEESSEN, nun als letztes Lied singt, am Klavier begleitet von Rainer HILGER.




Ehrung des US-Veterans Russell D. HOFF

Ansprache L. PAASCH als Einleitung zu dieser Ehrung


Der Krieg ist wie eine Bestie, die – einmal losgelassen – ohne Erbarmen wahllos tötet: Erwachsene und Kinder, Männer und Frauen, Schuldige und Unschuldige, Zivilisten und Soldaten. Rudi PLATTES hat eindrucksvoll Zeitzeugen aus unserer in den Wintermonaten 1944/1945 zerstörten Heimat zu Wort kommen lassen.

Ich will Ihnen nun ein letztes Zeitzeugnis vortragen und zwar das des US-Veteranen Russell D. HOFF aus Warrington in Pennsylvania, der im Dezember 1944 als blutjunger Rekrut – er war 20 Jahre alt – mit vielen weiteren ebenso blutjungen und noch unerfahrenen Soldaten der 106. ten Infanteriedivision in die Eifel kam. Am 10. Dezember bezog er mit seinen Kameraden des 423. Regimentes bei Schlausenbach zwischen Schönberg und Bleialf Stellung. Am Morgen des 16. Dezember vor 60 Jahren begann die Offensive, die Erde bebte rund um ihn von den Einschlägen und es begann das mörderische Ringen. Seine Einheit, das 323. Regiment, wurde eingeschlossen, er selbst kam mit etwa 7000 weiteren Kameraden schwerverletzt in Gefangenschaft. Der Marsch und Transport der Gefangenen führte zunächst über Prüm nach Gerolstein, wo sie in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember ankamen. 58 von 70 der mit Russell auf einem Lastwagen eingepferchten Kameraden waren bereits in ein Gebäude verbracht, als britische Bomber ihre tödliche Fracht über Gerolstein abwarfen – wie noch am gleichen Tag über Sankt Vith. Alle 58 bereits im Gebäude eingeschlossenen Kameraden fanden im Bombenhagel den Tod. Russell D. HOFF überlebte und kam in ein Gefangenenlager, einem STALAG, in der Nähe von Frankfurt und wurde dort nach 4-monatiger Gefangenschaft von den vorstoßenden US-Tuppen befreit. Jahre nach dem Krieg lernte er bei der Realisierung eines Bauprojektes in seiner Heimat Pennsylvania durch Zufall einen ebenfalls an diesem Projekt beteiligten deutschen Baufachmann kennen, der schwer kriegsverletzt war. Es stellte sich heraus, dass dieser Deutsche am 16. Dezember 1944 als Soldat der 1. SS-Panzerdivision unter PEIPER an der Ardennenoffensive teilgenommen und als solcher damals sein Todfeind gewesen war. Aus Feinden wurden Freunde.

Vor wenigen Tagen - 60 Jahre nach den Ereignissen im Dezember 1944 – kam Russell D. HOFF in die Eifel zurück und mit ihm kamen 4 seiner 5 Söhne. Gemeinsam besuchten sie die Orte des damaligen Geschehens. Heute Morgen gedachten sie bei der Messfeier in der Pfarrkirche von Sankt Vith aller Opfer des Krieges und beteten gemeinsam mit den Sankt Vithern für den Frieden.

Ich begegnete Russell D. HOFF und seinen Söhnen am Montag dieser Woche rein zufällig im gegenüberliegenden Café. Er, der nach seinem Bekunden Jahrzehnte nicht über die traumatischen Erlebnisse reden konnte, erzählte mir seine Geschichte und ich lud ihn als Ehrengast zu dieser Gedenkfeier ein. Ich darf dich, lieber Russell, und deine Söhne Gerald, Thomas, Bryan und Stephen ganz herzlich unter uns begrüßen.

Bevor Bürgermeister Christian KRINGS Ihnen, lieber Russell D. HOFF, stellvertretend für alle US-Veteranen eine Gedenkmedaille als Geste der Anerkennung und des Dankes überreicht, möchte ich etwas Grundsätzliches zu dieser von mir vorgeschlagenen Geste anmerken. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich der US-amerikanischen Außenpolitik – insbesondere der des Präsidenten BUSH – sehr skeptisch, ja ablehnend gegenüberstehe. Diese Ablehnung teile ich mit einer Mehrheit der Bürger des von BUSH so genannten „Alten Europa“ und im übrigen auch mit mindestens der Hälfte der US-Bürger. Ich weiß ebenso, dass die Bombardierung von Sankt Vith durch alliierte Bomber mit hunderten von unschuldigen Opfern unter der Zivilbevölkerung keiner militärischen Notwendigkeit entsprach und dass es für die traumatisierten Hinterbliebenen – Eltern, Kinder, Freunde – wohl schwer fällt, ja unmöglich ist, den US-Amerikanern dankbar zu sein. Das ist mehr als verständlich. Aber weder das eine – Ablehnung der heutigen US-Außenpolitik - noch das andere – der Tod unschuldiger Bombenopfer - kann und darf heute ein genereller Grund dafür sein, denjenigen, die vor 60 Jahren mit dem Einsatz ihres Lebens das „Alte Europa“ von der Nazidiktatur befreiten und uns seitdem ein Leben in Freiheit ermöglichten, NICHT dankbar zu sein und diesen Dank auch auszudrücken. Denn es bleibt festzustellen, dass der Krieg, diese Bestie, bewusst und von langer Hand vorbereitet 1939 von den Nazis losgelassen wurde. Die unschuldigen Opfer von Sankt Vith wurden - mit abertausend anderen - Opfer dieser Bestie und derer, die sie gezüchtet hatten.

Vorstellung der weiteren Veranstaltungen im Rahmen von DENK-MAL durch L. PAASCH

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Stadt Sankt Vith wird der Zerstörung vor 60 Jahren in den kommenden Wochen mehrfach gedenken:

§ am Weihnachtstag gedenken wir im Hochamt – wie jedes Jahr - der Opfer der Bombennächte Weihnachten 1944 mit anschließender Kranzniederlegung am Ehrenmal;

§ am Montag, dem 27. Dezember, zeigt das Sankt Vither Theater AGORA „IRGENDWO“ in einem szenischen Rundgang zu markanten Schauplätzen der Bombennächte;

§ am Donnertsag, dem 30. Dezember, findet um 20.00 Uhr in der Pfarrkirche ein Gedenkkonzert unter Mitwirkung des Madrigalchores und des Streichorchesters von Sankt Vith sowie „Musica Viva“ aus Eupen statt;

§ besonders möchte ich auch hinweisen auf die Ausstellung „DENK-MAL“, die morgen Abend um 19.00 Uhr in der Pfarrkirche eröffnet und dort bis zum 08. Mai zu sehen sein wird. In dieser Ausstellung wird nicht nur die Zerstörung thematisiert, sondern vielmehr auch die Entstehung des Krieges dokumentiert und hinterfragt. Sie sind alle sehr herzlich zur Eröffnung und zum Besuch dieser Ausstellung eingeladen.




Danke an die Mitarbeiter und Kollegen von L. PAASCH:

Zum Abschluss bleibt mir allen zu danken, die in die Gestaltung der Gedenkfeiern ihre Ideen und ihre tatkräftige Hilfe eingebracht haben und noch einbringen werden, vor allen aber:

Klaus-Dieter KLAUSER, dem Vorsitzenden des Geschichtsvereins „Zwischen Venn und Schneifel“, für die Hilfe bei der Gesamtplanung und den Aufbau der Ausstellung

den Kollegen Egi PIETTE und Dr. Jens GIESDORF insbesondere für den Aufbau der Ausstellung und die Ausarbeitung der sie begleitenden Unterrichtsmaterialien

Erwin KIRSCH, der die grafische Gestaltung aller Veröffentlichungen und der heutigen Präsentation ehrenamtlich übernahm;

Roland HENKES, der als Hausmeister viele Stunden opferte;

Rudi PLATTES, der so eindrucksvoll die Zeitzeugnisse vortrug;

den Herren Albert GEHLEN, Bernhard SCHEUREN und Freddy MICHELS, die vergangenen Sonntag die sachkundige Führung der US-Veteranen übernahmen.